Dienstag, 5. Februar 2013

Blut im Auge

Ist ja schon länger her, dass ich mich zu Wort gemeldet habe, aber ich habe auch nicht großartig das Bedürfnis gehabt. Es passiert ja auch nichts, absolut nichts. Ich sitze Tag für Tag am selben Fleck und kleistere mein Gehirn so mit Informationen zu, dass es nichts mehr fühlt, also alles altbekannt.
Allerdings erlangt allmählich meine Ratio wieder Überhand, so dass ich nicht mehr all zu viel emotionalen Quark empfinde, sondern durchaus auch mal froh bin, dass ich das samtig weiche Lotterleben führen kann, dass ich möchte, ohne das irgendwas oder irgendwer etwas dagegen einwendet. Das ich den ganzen Tag auf meinem Stuhl sitzen kann und all die wundervollen Welten erleben, und allmählich sagt meine Ratio mir sogar, dass das genau das ist, was ich eigentlich all die Zeit wollte, meine Ruhe haben, und in Frieden meinen Kram machen - oder ist das nur Einbildung, weil mein Verstand nicht akzeptieren will, dass ich meine Chance auf ein normales Leben verbaut habe?

Einbildung... Ein extrem starkes Werkzeug, der Mensch besitzt im Prinzip erst Mal die Fähigkeit, sich komplett alles einzubilden was er will. Das zeigt schon das Kindesalter, und da auch die eigene Erfahrung. Im Wald werden die Äste zu Schwertern, die Gräben und Hügel zu Wällen, Jägerhütten zu Feldlagern und hinter einem Befinden sich 1000ende, die nur auf ein Wort warten vorzustürmen. Man gibt Befehle und vor dem inneren Auge regnet es Brandpfeile, und sogar dein Freund, der neben dir ebenfalls auf den Angriff des Feindes wartet, sieht dasselbe wie du, obwohl ihr separate Individuen seid. Auch später, wenn die Schlachtfelder im Wald vor dem Inneren Auge aufblitzen und man verträumt davon schwärmt, das Sagitarius Gladius Maximus Arthenicus an dieser Stelle in einer Minderheit die Germanen in einer Vernichtenden Schlacht geschlagen hat und das römische Imperium über die Grenzen hinaus vergrößert hat, man sich aber nicht mehr in die Schlacht stürzt, obwohl es in den Fingern juckt, Kind zu sein, selbst dann noch erscheinen die Geschichten, die wir lesen wie Filme vor unserem Inneren Auge, wir sehen, was wir sehen und es ist real. Aber die Fähigkeit zur Phantasie kann auch zerstört werden, zerstört durch Medien wie das Fernsehen, wie Computerspiele. Ich bin bisher absolut davon verschont geblieben. Aus meinem ehemaligen Hobby des Militärmodellbaus weiß ich noch heute, nein es ist noch immer genauso der Fall, ich sehe mir meine Tirpitz an, und schon kurze Zeit später seh ich sie, wie sie durch die Sturmgepeitschte See fährt, donnernde Geschütze durchschneiden den Wind wie ein Messer, das Mündungsfeuer erhebt sich für einen Moment über das Deck, und für den Bruchteil einer Sekunde ist alles Hell, bis der Sturm alles zurück in seine Dunkelheit saugt. Wellen brechen über den Bug auf das Deck, überspülen die Wellenbrecher am Bug, reißen Matrosen von den Füßen, Leute laufen aufgeregt aus den Aufbauten zu den Flaks, denn es heißt Fliegeralarm. Diese Fähigkeit mir Dinge lebendig vorzustellen ließ mich noch nie im Leben los. Ich sehe noch heute den Alter Ego meines jüngeren ichs so lebendig vor mir, wie ich es kaum in Worte fassen kann. Und meine Einbildung war so stark, dass ich niemals behaupten würde, dass es nur Kindheitsfantasien waren. Sagitarius ist ein Teil von mir und ein guter Freund, und wann immer ich an meine Kindheit zurück denke oder an die Stätten meiner Kindheit zurückkehre, dann sehe ich ihn auf den Feldern stehen, das Blut tropft von der Klinge, die Federn des Helms sind zerzaust und ein Pfeil ragt aus dem Schild, und doch hebt er das Schwert um den nächsten Feind niederzustrecken, die Inkarnation aus Wut, Hass und ständiger Ausdauer, wie ich sie seitdem ich denken kann in mir trage. Sagitarius wurde irgendwann zu Nerevar, und Nerevar ist ein weitaus böserer Tumor in meinem Kopf. Und dennoch denke ich, wann immer ich Sagitarius vor meinem Auge sehe, daran zurück, wie schön die Kindheit war, wie schön es war, wenn man sich alles Einbilden konnte, und es dann leben konnte, ohne das man deswegen schräg angeguckt wurde. Ich wäre am liebsten bei Sagitarius geblieben.
Aber wenn ich mir alles so gut Vorstellen kann, Einbilden kann, woher soll ich wissen, welche meiner Gefühle echt sind, oder ob ich nur meine Ratio einbilde? Es ist aber wie man es auch dreht und wendet belanglos, und das einzige, was ich in diesem Monolog herausgefunden habe, ist, dass ich meine Kindheit zurück will. Ja, nicht immer hat der Monolog an sich ein Ergebnis, aber fast immer hilft er die Gedanken zu ordnen und neue, wichtigere Fragestellungen aufzuwerfen, nämlich: Warum will ich meine Kindheit zurück, obwohl ich während der Kindheit so traurig und verlassen war wie niemals zuvor in meinem Leben?

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