Sonntag, 31. Januar 2021

Statt Clara, III

 Es ist einer der schlimmsten Tage seit langem. Ich stürze in ein finsteres, tiefes, unaufhörliches Loch in mir selbst. Ich falle, immer schneller und immer tiefer und hoffe auf den Aufschlag, der Aufschlag, der mich zerschmettert und das Gefühl des freien Falls beendet.

Es ist ein wiederkehrendes Muster. Wann immer ich das Gefühl habe, auf den Endpunkt zuzusteuern, wenn ich mich durch meine tiefsten und dunkelsten Gehirnwindungen kämpfe, meine Dämonen mit hässlichen Fratzen an meinem Fenster vorbeiziehen, Grimassen schneidend und mich verhöhnen, wenn ich das Gefühl habe, den toten Punkt erreicht zu haben, dann schreit ein Teil nach dir. Immer nach dir.

Denn du kennst mich, du kennst meine Dämonen. Du kennst mich länger und tiefer als mein bester Freund. Ich habe dir alles gezeigt, so wie du auch mir. Ich weiß, dass du mich verstehst, wenn ich mich selbst nicht mehr verstehe. Und so zieht es mich auch jetzt in Gedanken zu dir, der einzigen, von der ich nie etwas hörte, was mir schadete.

Ich zweifle langsam. Ich zweifle an den Entscheidungen, die ich traf, die Weichen, die ich gestellt habe. Die Dinge, die ich aufgab, die, die ich aufnahm. Es stellt sich mir mehr und mehr die Frage, ob meine Situation nicht einfach die logische Folge falscher Entscheidungen ist. Denn bisher gab es unantastbare Überzeugungen in mir. Dinge, in denen ich den Fehler nie suchte, weil das Dogma es verbot.

Aber denke ich nach, so erkenne ich Optionen. Alternative Wege, die ich ausschlug, weil ich vom Dogma geblendet ihre Wirksamkeit nicht erwog. Jetzt zeigt sich, auch dass Dogma hat zu nichts geführt. 

Sie ist depressiv, schwer und zerstörerisch. Wir haben unser Kind verloren, und sie zugleich alle Hoffnung. Sie hat sich aufgegeben, so wie den Glauben an eine Zukunft. Ich selbst bin wegen dem, was passierte, ein Wrack. Ich habe meine eigenen Scherben noch nicht aufgehoben und schneide mich an ihren.

Ich stumpfe ab. Ich denke nicht mehr. Ich versuche nicht zu fühlen. Ich versuche nicht mehr "da" zu sein. Ich versuche, zu vermeiden. Alles zu vermeiden, die Realität auszusperren.

In mir tobt der Kampf des Determinismus gegen den Fatalismus.

Ich war stets Fatalist - unsere Aktionen und Handlungen simulieren nur einen Einfluss unsererseits auf das Endergebnis, das in Wahrheit schon lange und unumstößlich feststeht. Alles entwickelt sich auf diesen Punkt zu und je mehr man versucht, ihm aus dem Weg zu gehen, desto größer die Enttäuschung. Ich fand leicht zu beobachten, dass das Universum fatalistisch sei - der größte Fatalismus ist die Lebensspanne des Menschen an sich.

Nun aber frage ich mich, ob meine Entscheidungen, wie z.B. meine Heirat, zu dem Punkt führen MUSSTEN, an dem ich jetzt bin. Denn das bedeutet, dass ich erstens eine Eigenverantwortung an den Ereignissen habe und zweitens es voraussehbar war.

Wenn ich dieser Betrachtung zustimme, dann öffne ich dem Unheil Tür und Tor in meine Psyche. Denn dann müsste ich mich fragen, welche meiner Entscheidungen wohin geführt haben, welche man revidieren, welche rückgängig machen kann.

Und nun sitze ich hier, wissend, dass niemand außer mir das wirkliche Ausmaß des Scheißeorkans in meinem Leben abschätzen kann, dass mir deswegen niemand einen Rat geben kann, von dem ich ausgehen kann, dass er alle zu bedenkenden Faktoren einberechnet hat, und frage mich:

War meine frühe Heirat ein Fehler? War es naiv und blauäugig? Hätte ich es anders machen sollen? Hätte ich das alles auf mich nehmen sollen? 

Ich hatte ja alles - eigene Wohnung, eigenes Geld, Möglichkeiten zur Entfaltung allenthalben.

Und dennoch ist mir heute klar, dass es teils meine Komplexe, Sehnsüchte und tief innewohnenden Schäden waren, auch verursacht von meiner ersten Beziehung, dass ich die Gewissheit wollte, die Sicherheit, jemanden neben mir zu haben.

Und während ich nach wie vor glaube, dass ich das Ausmaß der Entscheidung schon irgendwie verstanden habe, bin ich mir manchmal nicht sicher, ob sie sich dessen auch bewusst war.

Und heute, heute leben wir seit 6 Jahren zusammen. Und ich weiß, ich gehe nicht. Nicht, weil ich nicht den Impuls hätte, nicht, weil ich nicht jede Menge guter Gründe hätte, zu gehen, nicht, weil ich mir nicht manchmal sehnsüchtig ein Leben in Ruhe und Einsamkeit vorstellen kann - sondern weil ich, wann auch immer, ein guter Ehemann bin. Weil ich gewisse Prinzipien habe.

Und die hat sie nicht. Nie würde ich meine Launen an ihr auslassen. Nie würde ich etwas sagen, nur im Bestreben, sie zu verletzen. Nie würde ich sagen, dass ich "nichts und niemanden" im Leben hätte - ich habe ja sie. Ich lebe  wann immer ich kann nach dem kategorischen Imperativ:

HANDLE NUR NACH DERJENIGEN MAXIME, VON DER DU WOLLEN KANNST, DASS SIE EIN ALLGEMEINES GESETZ WÜRDE.

oder für die dümmlichen:

WAS DU NICHT WILLST DAS MAN DIR TU, DAS MACH AUCH KEINEM ANDEREN ZU!

Das gelingt nicht immer, aber es gelingt mir immer bei ihr. Ich würde sie niemals so behandeln, wie ich selbst die Behandlung nicht ertrüge.

Umgekehrt ist das ein Pustekuchen. Im Gegenteil. An mir darf man kritisieren, obgleich es schon immer so war. An mir darf man seine Wut auslassen, obgleich ich nichts mit ihr zu tun habe.

Wenn sie toxisch ist, mir wehtun will um des Wehtunswillen, sagt sie ja gerne, ich würde mich für den besseren halten.

Die Wahrheit ist, ich bin seit langem der Bessere. Ich seziere jeden Streit und Disput in meiner Therapie. Und ich bin der, der rational handelt. Ich bin der, der deeskalierend wirkt. Ich bin der, der das anerkennende Lob bekam, dass selbst in meinen Momenten allergrößter Wut auf sie, ich noch immer ihre Position sehe, verstehe und vor mir selbst verteidige. Ich bin ein "Über-Ehemann", wie mir gesagt wurde. Nie geht ein Konflikt von mir aus, nie eine Aggression. Noch nie wollte ich eine Veränderung, nie ein anderes Verhalten erzwingen. Ich nahm sie, wie sie kam und nehme sie, wie sie jetzt ist.

Und mittlerweile weiß ich nicht mehr, ob ich mir nicht selbst dafür zu Schade bin, nicht die gleiche Behandlung zu bekommen, die ich gebe. Denn zur Zeit bin ich ihr Fußabtreter. 

Ich spiele wieder WoW und gehe mit meiner Gilde raiden. So auch kürzlich. Ob sie mitkommen wolle? Natürlich nicht. Sie war ja schon mit; aber wenn man ihr nicht den Arsch pampert und haarklein lobt, was sie gut macht, dann ist es ja nichts mehr für sie. Sobald nur ein bisschen Anspruch an sie gestellt wird, ist sie raus. 

Egal, kein Grund für mich, nicht trotzdem zu raiden. Das tat ich auch, wie angekündigt vom 19:30 bis 22:30. Madame ging demonstrativ um 17:45 ins Schlafzimmer. Ich nahm an, sie wolle schlafen; aus diesem Grund geh ich dorthin.

Um 23:00 empfing mich Madame wach und verließ das Schlafzimmer, als ich die Frage ob ich schlafen wolle, bejahte (überraschend, was?). Es entspann sich ein 4 stündiger Dialog via Chat, in dem ich nicht nur für mein angekündigtes und völlig alltägliches Verhalten kritisiert wurde (sie sei nicht meine Bitch, die auf mich wartet), ging es auch noch in die Zukunft (wenn ich arbeite, werde ich nur noch zocken und arbeiten) und natürlich bin ich fürchterlich öde und verantwortlich für ihr ödes Leben, weil ich keinen Freizeitbespaßungsplan für Madame ausgearbeitet habe und eigene Hobbys habe, zu denen sie sie zu finden nicht in der Lage ist.

Warum ich dann ihre Bitch sein sollte, die sich den ganzen Tag um die Beschäftigung einer Erwachsenen kümmern sollte, erschloss sich nicht. Es ging ohnehin nur darum, mich zu verletzen. Um nichts anderes - sie leidet, also darf niemand nicht leiden.

Ich weiß nicht mehr wohin. Manchmal wünschte ich, ich hätte mich Veltheim 2014 einfach an dich gehangen. Dann wären Riesenkelche an mir vorbei gerollt.

Ich kanns halt nicht mehr. Mein Leben war schon immer ein Trümmerfeld, doch jetzt ist es bis in die letzten Winkel verstrahlt und verseucht - nicht einmal meine Beziehung ist noch ein ruhiger Hafen in stürmischer See, die Kaimauer ist gebrochen und die Wellen lecken gierig an der Deichkrone.

Irgendwann, dann platzt der Knoten. Und dann knote ich mich auf. Es gibt einfach nichts mehr im Leben. Ich bin selbst zu depressiv um mit dem Hund zu gehen. Mein Leben verwest um mich herum.


Jede Nacht träume ich mittlerweile von dir. Nicht nur, auch anderen. Vielen Menschen aus meiner Vergangenheit. Und jeden Morgen wache ich auf, mit dem Gefühl, dich und sie alle durch mein Aufwachen getötet zu haben.

Wo auch immer du bist, ich werde dich immer ganz tief in meinem Herzen haben. Ich hoffe, Bernd hat dich damals gegrüßt.

Freitag, 29. Januar 2021

Wahn

 Es sind Tage, Nächte wie die heutige, die mich immer wieder zerschmettern. In denen ich stundenlang wach liege. Alleine, in innerem Aufruhr. Keine Ruhe in keinem Winkel. 

Und ich habe es nicht selbst verschuldet. Ich habe mich nicht anders verhalten als je zuvor. Ich habe mich meiner Natur gemäß verhalten.

Aber meine Natur ist falsch, wie mir stets nahegelegt wird. Stets dann, wenn die Auswirkungen des Auslebens meiner Natur unumkehrbar wurden, ich also schon in die Falle gegangen bin. Der Ärsche sind ja schon geleckt, also hinhalten und danke sagen.

Und ertragen, den ganzen hirnlosen, Selbstverantwortung negierenden Rotz, den sich das Wutköpfchen ausgedacht hat, ihn in unsinnig entstellter Reihenfolge mir an den Kopf zu knallen.

Bullshit, Ungerechtigkeiten, maßlose Übertreibung und der unbedingte Wille zu verletzen. Ich spucke Galle.

Ich ertrage das alles nicht mehr. In gar nicht langer Zeit habe ich Umgang mit Waffen. Führt kein Weg mehr dran vorbei. Ich brauch nur 4 Sekunden und meine geladene, gesicherte Waffe in meinen Kopf zu pumpen.

Was solls halt auch noch. Selbst wenn du dich bemühst, reicht es nicht. Weil es nie reicht, nie, nie, nie. Immer mehr und immer mehr und mehr. Aufsaugen, konsumieren, den eigenen Arsch gebuttert halten. Erwachsene, die sich in das Leben des Anderen einbringen? Fehlanzeige. Lieber die Schulhofromantik, die ist ein zukunftsträchtiges Modell.


Ich trete ab. Endgültig.

Donnerstag, 14. Januar 2021

Fühlst du dich?

 In Anlehnung an den vorherigen Post, hier nun mein zweites Gedicht. In diesem Gedicht habe ich erstmals - und das im Zuge meiner Therapie - versucht, die Gefühle und Zustände in meiner Kindheit in eine lyrische, verarbeitbare Form zu bringen. Ich habe versucht, meine Perspektive, die Motive, die Folgen und das ceterum censeo heraus zu arbeiten. Nannte ich "Der Berg ruft" mein Magnum Opus, so ist "Fühlst du dich?" direkt aus meiner Seele geschnitten.



Fühlst du dich?

Hörst du sie? Ich hör schon. Auf leisen Sohlen,
donnernd die Schritte, völlig unverhohlen
Die Watte an der Sohle kaum angehoben,
Hat mein Herzschlag sich verschoben.
Fühlst du dich? Ich mich nicht.

Näher kommend, sekundenschnell,
Augen zu, denn gleich wird’s hell.
Meine Schreie, stumm, still und grell
die hört niemand, niemand der nicht will.
Fühlst du dich? Ich mich nicht.

Von allem was man zu empfinden kennt,
enthält nur Furcht dieses eine Element,
was die Erfahrung ins Hirn mir brennt
und du mir in die Haut dein Ornament.
Fühlst du dich? Ich mich nicht.

Du bist kein Mensch, nicht mal ein Tier
was wollen tust du nicht von mir.
Du hast kein Bestreben, kein Metier,
kein Argument wegen dem du stündest hier.
Fühlst du dich? Ich mich nicht.

Es ist der Wahnsinn, der dich reitet,
über dessen Kliff man gleitet,
als Tandemflug, an dich gekettet,
mit einer Kugel Blei, dich mich rettet.
Fühlst du dich? Ich mich nicht.

Man stellt sich ab, wie ein Notausknopf
Man stellt sich ab, zuerst den Kopf,
dann den Körper, zusehen wie ich tropf
als Blut von deiner Hand und auf den Boden klopf.
Fühlst du dich? Ich mich nicht.

Kreatur, Abschaum, Missgeburt, mehr bist du nicht,
heute weiß ich das, und schneids in dein Gesicht.
Ich war nur ein Kind, ohne jegliches Gewicht.
Und irgendwann, dann halt ich mein Gericht.
Fühlst du dich? Ich mich nicht.

Denn Karma, du Fotze, ist eine Schlampe
und irgendwann führt sie dich auch zur Rampe
und weist dann nach links zum Bad – danke!
Aus deiner Haut bastel ich eine Lampe.
Fühlst du dich? Ich mich nicht.

Beiseite den Zorn, beiseite den Hass, beiseite die Wut, beiseite das Gas.
Es hilft ja nichts, das muss ich gestehen, selbst würdest du vom Erdenrund gehn,
Ich bin kaputt, zerrüttet schon immer, da hilft dann kein Selbstmitleidsgewimmer.
Und so schluck ich es und ertrage, und stelle mir jeden Tag nur die eine Frage:

Fühlst du dich? Ich tat das nie.
Fühlst du dich? Ich weiß nicht wie.


Der Berg ruft

Gelegentlich dichte ich. Und weil ich dazu neige, Dinge zu verlieren, werde ich in kommenden Tagen/Wochen mal zusammen suchen, was ich bisher so dichtete, und es hier sammeln. 

Ich beginne mit meinem Magnum Opus - Der Berg ruft. 


Hörst du den Berg rufen?
Ich schon, also komm in die Hufen!
Lange war der Weg versperrt,
Nun wird er mit Anwesenheit beehrt.

Weit haben wirs nicht, sollt das nicht locken,
regnen wird's nicht, ist‘s sonnig und trocken.
Gesagt, getan - denn der Berg ruft,
drum wird er heut besucht.

Aufgemacht, die Tür verschlossen,
heute wird nur scharf geschossen.
Den Fuß kaum hinausgesetzt,
haben UV-Strahlen mir die Haut zerfetzt.

"Naja, jetzt ist drauf gepfiffen",
Sag ich und blicke an mir runter
das Hautpapier komplett zerrissen
Und nichts als Kohlen drunter.

Vornehme Blässe? Wen kümmert sowas schon!
Ich werde jetzt ein Südseekannibalensohn.
"Was nicht tötet, härtet ab!", ruf ich triumphierend
Und dem Tod entkam ich knapp, ein Auto fast touchierend.

Woher es kam, das sah ich nicht;
Schmolz grad das Auge aussem Xicht.
Geblendet vom ewigen nuklearen Feuer,
Einem tosenden, brennenden Ungeheuer
Das ein Depp mal "Sol" genannt,
Als Gott verehrt in irgendeinem Land
- aus Sand.

Doch meine Ohren hören und hören gut
Das der Berg mich noch immer rufen tut.
„Nagut“ sag ich und „lass mal stecken!
An der Natur wird man sicher nicht verrecken!“
Und so lass ich meine Erinnerung den Pfad suchen,
denn der verdammte Berg, er hört nicht auf zu rufen.


Und so halte ich ein Zwiegespräch mit mir,
vergleich‘ mit einem Brief, im Kopf, auf Papier.
Oder eine Serie von Briefen
mit Rändern und Serifen,
mit Höflichen „Sies“ und „Ihre“
„S‘ Befinden stets?“ – „Ich friere!“
„Sie frieren hier?“ – „Ja, ists denn wohl Ihr Bier?“

„Ne, das isses wahrlich leider nicht.
Meine Meinung fällt wohl auch nicht ins Gewicht?“

„Das haben Sie allzu gut verstanden, werter Mann!
Ich frag mich ob man ihr Befinden raten kann?“

„Den Versuch kann ich nicht nehmen,
allerdings nicht viel drauf geben,
von Ratekünsten halt ich wenig,
den Künstler allzu überheblich.“

„Es hat ja nichts mit Kunst zu tun,
Sie dreikäsehoher Hurensohn!
Ich bin Sie, im Kopfe drin,
von dem Typ, nichts als Gespinn!“

„Wohl an, wohl wahr, da haben Sies,
meine Antwort war wohl fies,
weil ich die Frage zu bequemlich
und meiner allzu ähnlich,
unnütz fand und redundant.“

Ist das so? Ich frag Sie dann,
wie gut kommen wir voran?
Es sind hundert Meter, vielleicht zehn noch drauf,
dreitausendsiebenhundert plus Stufen folgen noch darauf!
Worauf wollen Sie wohl raus?“ – „Kommen Sie noch nicht drauf?
Ich weiß es wohl, weil Sie es wissen!“ –
Man hat ihm ins Gehirn geschissen!

Der letzte Satz, der kam von anderswo,
wo bitte war ein Kopf ein Klo?
Ein Passant mit entsetzten Blicken,
hör die Augen planlos klicken –
er verstand wohl nicht, das ab und zu,
wenn man glaubt man sei in aller Ruh,
das dies und jene auch mal laut ausspricht,
ich sehe halt auch nicht ohne mein Gesicht.

Langsam gewöhnt sich die geschundene Netzhaut
an die sengenden Todesstrahlen, wer hätt‘s geglaubt.
Nun sehe ich wieder und kann sicher schreiten
und seh den Fuß des Bergs vom Weiten.
Ein Schritt zugelegt, die Ebene durchquert,
der Faulheit Klammer abgewehrt.

Wie die Preußen bei der Erstürmung der Düppler Schanzen,
mit Asthmaspray im Anschlag und vollgepacktem Ranzen
Es wird gelingen, noch nie konnte eine Schlacht jeden Recken
im Verlaufe des Getümmels, durchs Gewimmel zu Grunde strecken.
Und hier bin ich der einzige Soldat, kampfentflammt und voll in Fahrt!

Doch wie zu allen Zeiten, alle deutsche Landser
und damals wie heute, jeder dritte deutsche Panzer
komme ich nicht allzu weit, die Erklärung gleich bereit:
„Das sind technische Probleme,
die es ohne Gott halt schlicht nicht gäbe!
Nichts was man dagegen tun kann,
keine Frau und erst Recht nicht dieser Mann!“
Also plumps ich zu Boden, stoß mir die Hoden,
spring wieder auf, fall‘ in ‚nen Strauch.

Da bleib ich mal liegen für die Minuten
bis mich die Rufe vom Berg wieder rufen.
„Ja doch!“ brüll ich zurück,
„du nervtötentes geologisches Stück!
Ich steh ja auf, ich geh ja schon,
ich klettere weiter auf den felsigen Thron!
Aber ich warne dich, Sohn des Gebirges,
wenn da oben schlecht Wetter herrscht – verbirg es!“


Und so ziehe ich weiter, sehe Ross und Reiter,
die vom Gipfel kommen, sich kalt und beklommen,
sich klammern an Stecken und Stangen,
um den nächsten, sicheren Tritt bangen.
Und ich ihnen entgegen, im frohen Bestreben,
ein Vorbild zu sein in ihrer ermüdenden Pein.
Ein Anblick, ein Auswuchs, von epischer Manneskraft
die mit einem Blick gleich zeigt was ein Mann so schafft
der den Willen hat, und auch den Mut,
festes Schuhwerk – doch leider keinen Hut.

Und der Hut wars, der hätt mich geschützt,
vor dem sengenden Sonnenblendbrandgeschütz.
Und so war es kein Bildnis vom schreitenden General,
der Anblick von mir war im Gegenteil ganz fatal;
die Frauen keuchten, die Pferde scheuten,
Ein Mädchen sucht Schutz, weinend im Arm vom Vater,
sah ich aus wie verkohlter Meteroiteneinschlagskrater:
Alles verkohlt, in Fetzen hängend,
der Augapfel liquid aus der Höhle drängend,
Das Grinsen schief, das Brabbeln leise,
ein strenger Mief, ein Zombie auf Reise!

Der Gipfel naht, ich riech sie schon,
Gipfelluft vom Himmelsthron!
Doch was sehen die entzündeten Augen,
kann mein Verstand denn nichts mehr taugen?
Ein Schelm, wer sich das hat ausgedacht,
ein Schelm, der dabei hat auch noch gelacht.
Dem tapferen Wandersmann ein Bein gestellt,
sich eine Treppe auf der Spitze noch dazu gesellt.
Daran schließt an in voller Pracht – Glas und Stahl, dass es kracht.

Umringt bin ich nur von Forst, wer war das für ein Horst,
der die Aussicht hat da hochverlegt?
„Hat man sich denn nicht genug gequält?
Einhundersechzigstufenund!“
Tu ich meinen Unmut kund.
Auf der Hälfte der Stufen allerdings,
endet abrupt der steinerne Sims,
der mich getragen hat bis hier her.
„Bis jetzt wars noch gar nicht schwer!“

Gitterstufen, ich hör sie rufen,
nichts für meine ollen Kufen.
Es ist die Sache die mich plagt,
das beim Blick nach unten die Schätzung nagt:
„Trägt das wohl, ist das wohl tief?
Ist der Balken vielleicht schief?
Kommt der Wind und trägt mich einfach fort?
Schlag ich auf auf fernem Ort?
Gedärme und Gehirn sind überall,
Feuerwehr, Notarzt, Bullerei?
Oder packt der Irrsinn mich komplett,
und ich schwing mich einfach übers Brett?
Was ist wenn der Adler mich ergreift
und auch noch triumphierend kreischt,
wenn er mich in seinen Horst verschleppt
und seine Jungzucht zum Frühstück weckt?
Ist ein Irrer gar dort oben?
Hat er mich als Opfer aus erkoren?
Wie ein wilder Stier, dem die Eier verbrannt,
kommt er mit Geschrei auf mich zu gerannt?
Ach, ich bin schon oben und keiner ist da,
na das lief ja wunderbar.“


So steh ich da und schau ins Tal – da hör ichs Rufen noch einmal.
„Was denn jetzt zum Teufel, Donnerwetter!
Langsam geht es nicht mehr wirklich besser!
Auf das Gebälk da steig ich bestimmt nicht rauf,
für einen Berg bist du ziemlich komisch drauf.“

Runter komm ich in diesem Sinne auch nicht wieder,
denn da oben brennt die Sonne mal so richtig nieder.
Und während ich so da steh und so staune,
geht meine Farbe langsam so ins Braune.
Dann noch dunkler, dann schon schwarz,
dann fang ich an zu kleben wie Tannenharz.
Langsam lauf ich durch das Gitter,
bin halt eh nur noch wie Glibber.

An diesem Punkt ist das auch schon nicht mehr wichtig,
denn endlich bin ich angekommen, diesmal aber richtig

.



Dienstag, 12. Januar 2021

Statt Clara II

Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Dass ich versucht habe, mich umzubringen? Dass ich Wochen in der Klapse saß? Dass meine Karriere als Journalist von einem chinesischen Fledermausvirus zur Hölle geschickt wurde, und ich jetzt in trauriger Eintönigkeit bald ein Leben als uniformierter Wachmann auf dem Gelände eines namhaften Getränkeherstellers fröhne? 12 Stunden Arbeit am Tag. Die Hälfte meines Lebens während einer irdischen Rotationsperiode.

Dass ich noch immer in Behandlung bin, fruchtlos? Dass ich, praktisch nach Zeitplan, nach wie vor suizidal bin? Dass ich emotional und psychisch mittlerweile so abgestumpft bin, dass mich selbst der Tod meines ungeborenen Kindes kaum noch berührt? Denn ja, auch das ist passiert.

Mein Leben ist eine riesige Reihe von zynischen Witzen auf meine Kosten. Mein bester Freund, er wohnt über mir, und völlig verwahrlost, abhängig und suizidal. Mein Bruder, suizidal, depressiv, drogenabhängig. Der gude Jakob, eingespannt von Beruf, Frau, Kindern, für mich seltener zu sehen und zu sprechen als ein Einhorn.
Ich sitze alleine hier, wie immer. 

Aber von Beginn an. Es war mein Geburtstag, ich war alleine zuhause. Die Krise meiner Ehe auf dem Höhepunkt, die Angetraute nicht mehr willens, dies auch zu bleiben. Du kennst das Thema, dass dort zu diesem Zeitpunkt herrschte. Ich war das ganze Wochenende meines Geburtstages allein. Ganz allein. Und erstmals in meinem Leben, habe ich vollständig den Verstand verloren. Ich schrie, weinte, tobte, den ganzen Tag. Ich wachte heulend auf, und schlief ein mit den Händen in den Haaren verkrallt. Ich schlug gegen Wände, ich trat gegen Türen. Ohrenbetäubend lief "I'm am Henry the Eight I am!" in Dauerschleife, und ich, ich sang offenbar mit. So ganz erinnere ich mich nicht mehr, verschwommen die Bilder, wie ich, mit dem Gesicht an der Wand durch die Wohnung laufe, schreiend.

"ICH BIN HEINRICH DER ACHTE ICH BIN! HEINRICH DER ACHTE ICH BIN, ICH BIN! ICH WAR VERHEIRATET ZU DER WITWE NÄCHST' TÜR, SIE WAR VERHEIRATET SIEBEN ZEITEN ZUFÜR!

UND JEDER EINE WAR EIN HEINRICH, SIE WOLLTE HABEN KEINEN WILHELM, KEINEN SAM!"

Das wurde bemerkt. Jakob wurde gerufen. Jakob kam, da lag die Leine schon über der Duschkabine und war am Wasserhahn festgeknotet. Es wären 10 Minuten gewesen, dann wäre ich tot. 
Stattdessen ließ ich mich einweisen. Es ist halt nicht alles Gold, was glänzt.

Mit meinem eigenen Bettzeug tauchte ich auf, unangekündigt. Das käme nicht oft vor, wurde mir gesagt. Noch nie hätte jemand sein eigenes Kopfkissen mitgenommen. Amüsiert war man. Gut, mit einem Lacher anzufangen.

Was passiert ist, wurde ich gefragt. Ich konnte nur schluchzen. Man unterhält sich, lange. Sehr lange. Die Ärzte müssen feststellen, ob eine Selbstgefährdung vorliegt, sonst muss man nach Hause. Ich musste nicht.
Tavor, eine Nacht auf dem Flur, unter Beobachtung. Irre und Geisteskranke, Alkoholiker und Paranoide, wackeln an dir vorbei, keiner beachtet dich. Seltsam, dass jeder dort ist, weil er irre ist. Irgendwie befreiend, mal IRRE sein zu DÜRFEN, weil man dafür da ist. Aber die Tavor sorgt schon dafür, dass man nicht durchdreht.

An sich war die Klapse eine gute Zeit. Produktive Zeit. Die leider zu schnell endete. Corona kam, und machte mir einen Strich durch meine Planung, noch einen stationären, längeren Aufenthalt in 2020 einzulegen. Vieles kam kurzfristig ins Lot - doch noch mehr hat sich nicht geändert. Ich kämpfe weiter mit mir den immer gleichen Krieg, mit den immer neuen Waffen, auf immer lebensfeindlicheren Schlachtfeldern, mit immer ausgemergelten Truppen, im ewigen Abwehrkampf gegen den glühenden Wahnsinn. Gegen Heinrich, den 8ten, der schreiend seinen Tribut fordert, an jedem Tag.

Mein Job ist vorbei, Corona sei "Dank". Durch die Depressionen war ich allerdings schon lang nicht mehr in der Lage, regelmäßig zu arbeiten. Schulden und Geldprobleme waren die Folge, die Gedanken wurden weggekifft. Nach einem Jahr des NEETens habe ich ein Praktikum bei einem Sicherheitsdienst gemacht. Und mein Gott, ich könnte ewig referieren über die Frage, ob ich damit einen Riesenfehler mache.

Ich spar es mir aber. Ich muss es ja sowieso tun, ich hab keine andere Wahl. Vielleicht ist dies jenes große Damoklesschwert, das über mir schwebt: Ich bin nicht mehr weit davon entfernt, einfach aufzugeben, in mich zusammen zu sagen, nie wieder nachzudenken und einfach ein Drohnenleben zu leben. NPC werden, Nebendarsteller, den Storyark weiterreichen. Einfach nur atmen, gehen, gucken, fressen, scheißen und schlafen. Bis ich tot umfalle, ohne mir Gedanken zu machen, ob ich glücklich bin. Denn mittlerweile wird mir klar, ich werde nicht mehr glücklich.

Mein Kind ist gestorben. Zum Monatswechsel Oktober/November diesen Jahres. Ich wusste nichtmal, dass es da ist. Eileiterschwangerschaft, 7te Woche. Ist geplatzt. Not-OP. Corona, kein Besuch. Ich wusste von nichts, bekam einen Anruf. Meine Frau ist auf der Arbeit mit inneren Blutungen kollabiert. Schwangerschaft festgestellt, Eileiter entfernt. Trauma. Für alle Beteiligten.

Es war der letzte Dominostein in einer Kette aus Scheiße. Er brachte das Fass zum überlaufen. Seit diesem Tag denke ich nicht mehr. Denn ich kanns nicht. Wenn ich es täte, dann würde ich irgendwann begreifen. Ich würde erfassen, verstehen. Ich würde anfangen zu fühlen, wirklich zu fühlen. Den Schmerz, die Trauer. Das unendlich laute Brechen meines Herzens müsste ich hören.

Ich habe geweint deswegen. Ich habe mich scheiße gefühlt, mich besinnungslos gesoffen und gekifft, aber nicht wirklich ~begriffen~, was all das wirklich heißt. Da sind nicht nur DNA, Zellen und rudimentäre Organe gestorben. Es ist ein Teil von mir gestorben, ein Hauch einer Ahnung eines besseren Lebens, eines Lebens mit einem Grund. Einer Aufgabe, einem Ziel, einen Angelpunkt, der nicht so belastet ist, wie meine Ehe. Ein Stück von mir auf Erden, das nicht ich bin. Etwas, das ich lieben könnte, so innig und aufrecht und ohne jeden Vorbehalt, dass ich ein anderer geworden wäre. Etwas, dass meinen Leben endlich einen Zweck gegeben hätte. Ich vermeide das Wort "Sinn" an dieser Stelle bewusst, denn kein Leben hat irgendeinen "Sinn". Aber ich hätte mir einen Zweck geben können.

Stattdessen verbleibe ich hier. Zwecklos, akut mit Tränen in den Augen und einem stockendem Herzen, einem glühenden Magen, doch voller Ignoranz für die wahren Emotionen unter der körperlichen Reaktion.

Ich will nicht mehr. 

I am Henry the Eight, I am!
Henry the Eight I am, I am!
I was married to the widow next door,
She was married seven times before.

And everyone was a Henry
She wouldn't have a Willie or a Sam
I am her eighth old man, I'm Henry

Henry the Eight I am.