Dienstag, 25. Februar 2014

Infernus et Caelus #2

Er war nicht allein. Er befand sich in einem großen Raum, Rot gestrichene Wände strahlten eine behagliche Wärme aus, der Boden war mit weißem Teppich bedeckt. Das helle, warme Licht stammte von der Sonne, der Raum besaß kein Dach und über ihm war nur strahlend blauer Himmel.
Um ihn herum standen unzählige Betten, fein angeordnet in Reihen, bespannt mit weißen Bettlaken. Decken gab es keine. Auf jedem dieser Betten saß oder lag jemand, manche schliefen, so wie er es eben noch tat, manche hatten sich aufgerichtet und schauten verwirrt durch den Raum. Menschen aller Ethnien, Geschlechter und jeden Alters - abgesehen von Kindern - befanden sich hier, alles in allem mussten es etwa 100 sein. Langsam erhob er sich und setzte sich auf die Bettkante, die Füße berührten den flauschigen, warmen Teppich. Er fühlte sich wohl, ohne zu wissen, warum. Er spürte keinen Schmerz, er war wach, so wach fühlte er sich noch nie. Seine Hände, vielmehr seine Haut, die sonst von einer rauen Hornhaut überzogen waren, fühlten sich weich wie Seide an. Ihm fiel auf, dass er auch keine Brille mehr brauchte, die er seit seinem 7ten Lebensjahr trug.
Er hörte eine leise Stimme neben sich, ein junges Mädchen saß mit den Knien unterm Kind auf ihrem Bett und starrte ihn an. "Ich sehe... ich kann sehen...". Verständnislos blickte er zu ihr herüber, wollte die Stimme erheben, doch sie brach. Nach einem Räuspern fand er seine Stimme wieder. "Warum solltest du nicht sehen können?"
"Ich konnte noch nie sehen... ich war seit meiner Geburt blind. Warum kann ich sehen?"
Mit aufgerissenen Augen starrte sie umher, die blasse Haut schien wie Alabaster im warmen Sonnenlicht und ihre weit aufgerissenen Augen zuckten wild umher, bis sie auf seinem Gesicht haften blieben. "Wo sind wir? Was machen wir hier?" 
Erst jetzt fiel ihm auf, dass er keinerlei Erinnerungen daran hatte, wie er hier her gekommen ist. Mit Blick auf seine Kleidung, eine weiße Stoffhose und ein weißes T-Shirt, keine Socken oder Schuhe, er war barfuß, erwiderte er:
"Vielleicht sind wir in einem Krankenhaus.. Vielleicht hat man dich operiert. Hast du denn keine Erinnerung wie du hier her kamst?"
"Nein. Das letzte, woran ich mich erinnere war, dass ich in einem Auto saß. Ich weiß nicht mal in welchem, mit wem, oder wohin ich unterwegs war. Ich saß in dem Auto und dann wurde ich hier wach. Du?"
Er schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht mal was vorher passiert ist." 
Er ließ den Blick schweifen. Niemand hier sah aus, als wäre er ein Arzt und jeder sah mindestens so verwirrt aus wie er. Manche lagen auf ihre Betten, unterhielten sich mit ihren Nachbarn, saßen nur apathisch da und starrten Löcher in die Luft, oder versuchten eine Tür zu finden, die es offensichtlich nicht gab.
"Du warst der letzte." Flüsterte das Mädchen leise.
"Was? Der letzte?" Sie senkte den Blick auf ihre Knie. "Der letzte der aufgewacht ist. Du hast Stunden geschlafen, man hat versucht, dich aufzuwecken. Aber es half nichts."
Er ließ den Blick wieder wandern, unschlüssig, was er mit dieser Information anfangen sollte. Ist er in einer Forschungseinrichtung? Wurde er entführt? Oder hatte er einen Unfall und das hier das Krankenhaus?
Er hatte kein Zeitgefühl, auch Mangels einer Uhr an den Wänden. Er betrachtete das Bett auf dem er lag genauer. Es war ein Bett aus hellem Holz, mit kunstvollen Schnitzereien von Fischen, Elefanten, Adlern und anderen Tieren an den Bettpfosten. Es hingen keine Krankenakten oder Namensschilder an den Betten, generell ließ nichts in dem Raum einen Schluss auf das zu, was passiert sein muss. Vor allem erklärte nichts das Fehlen der Decke.
Eine laute Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Ein Mann, etwa doppelt so groß wie alle anderen im Raum war im Mittelpunkt des Saales aufgetaucht, es war unerklärlich wie, oder woher er kam. Er rief immer wieder laut "Achtung, bitte werden sie ruhig, ich bitte sie, bewahren sie bitte Ruhe und nehmen sie alle bitte Platz auf den dafür vorgesehenen Betten."
Seine Stimme klang genervt, aber auch routiniert, als würde er das alles öfter machen. Er hielt ein Klemmbrett in der Hand, das er eindringlich studierte und schien mit seinem Finger auf dem Klemmbrett herumzukritzeln.
Während er dies tat, bat er geistesabwesend immer wieder um Ruhe, ohne zu merken, dass mittlerweile Totenstille herrschte, niemand wagte es, die Forderungen des Hünen nach Ruhe zu ignorieren, denn auch wenn er bisher nur passiv im Raum stand, strahlte er eine unglaubliche Autorität aus. Das lag aber nicht nur an seinem äußeren Erscheinungsbild, die Autorität schien er sich einfach selbst zu verleihen. 
Genauer betrachtet, würde er selbst als Zwerg jeden Menschen sofort einschüchtern können. Seine Arme waren muskulös, was sich unter seinem weißen Gewand klar abzeichnete. Seine Haare waren von unglaublicher Länge, fast hingen sie auf den Boden, wild durcheinander, augenscheinlich ständig in Bewegung wie ein Fluss aus Gold. Seine Gesichtszüge waren hart und streng, doch zeugten sie auch von einer gewissen Weisheit und Intelligenz. Seine Stimme, die zugleich ruhig, doch eindringlich und dröhnend war, war tief und vermutlich hätte er mit einem einzigen Schrei einen Menschen zerfetzt.
Trotz dieser beeindruckenden und gewaltigen Erscheinung zeigte er unverhohlen sein Desinteresse, da er immer nur das Klemmbrett studierte, ohne auch nur einen Blick an die Anwesenden zu verschwenden.
Dann. senkte er das Klemmbrett und sprach mit lauter Stimme, die trotz der Lautstärke angenehm und vertrauensvoll klang zu den verwirrten Menschen im Saal.
"Jetzt wo wir alle wach sind, können wir also mit der Zeremonie beginnen."
Bei diesen Worten warf der Hüne ihm einen Blick zu. Mag auch die Statur und das Auftreten dieser Gestalt beeindruckend sein, so war es doch der Blick, seine Augen, die seine wahre Macht bezeugten. Es war, als würde man direkt in die Glut einer Esse schauen, wild, eine sich ständig ändernde Mischung aus gleißendem Gold und Purpurrot, voller Leben und von einer Durchdringlichkeit als würde er mit einem Blick jeden Menschen lesen können wie ein Buch.
"Zunächst entschuldigen wir uns für die allgemeine Verwirrung, vor ein paar Jahren war es auch noch üblich, dass alle zur selben Zeit aufwachen, aber aus technischen Gründen wurde dieses Verfahren eingestellt.
Ich bin Ramos. Ich bin ihr einziger Ansprechpartner hier. Wenn wir mit der Einführung fertig sind, und noch Fragen offen sind, stehe ich ihnen zur Verfügung, um ihnen eben jene Fragen so gut ich kann zu beantworten." Er ratterte diese Worte hinunter, als hätte er sie schon hunderte, nein, tausende Male gesagt. Und als würde ihn nichts mehr stören, als hier zu sein, und eben jene Worte sprechen zu müssen. Er fuhr fort:
"Ich muss ihnen leider zu unserem Bedauern mitteilen, dass sie alle in diesem Raum tot sind." Ein Raunen ging durch die Menge, erstickte Schreie, entsetzte Blicke, hysterisches Gelächter und ungläubige Blicke erfüllten den Raum. Ramos rief donnernd zur Ruhe auf, welche auch prompt eintrat.
"Sie haben richtig gehört, tot. In wenigen Minuten werden sie einige Papiere erhalten, die ihnen ihre Todesursache und die näheren Umstände dazu erläutern, außerdem bekommen sie, je nachdem auf welchem Bett sie sich gerade befinden, eine Nummer zu geteilt. Diese Nummer ist ihre Identifikationnummer hier, bitte vergessen sie sie nicht.
Die Erinnerungen an ihren Tod wurden aus ihrem Gedächtnis gelöscht, denn glauben sie mir, der ersten 1000 Jahre hier war das noch nicht Praxis, und das hat mehr als nur Ärger gebracht. Alle relevanten Informationen beziehen sie aus den Blättern, die sie gleich erhalten."

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