Freitag, 5. Februar 2021

Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen

Ich hasse es stets, ein Klischee zu sein. Ich kann es nicht leiden, meine eigenen Handlungen als vorhersehbar für einen Hollywooddrehbuchschreiber wahrzunehmen. Ich kann es nicht leiden, nach einem offenbar vorgefertigten Paradigma, dass gesellschaftlich geprägt wurde, auf etwas zu reagieren. Und so stand ich vor dem Zwiespalt, meine eigene Person mal wieder als Klischee zu begreifen, als ich über Nietzsche stolperte. 

"Oh, ja, Nietzsche, ganz was Neues. Und sag bloß, das hat dich zum nachdenken bewegt? Ist ja nen Ding. Keinem zuvor passiert", flötet die Selbstkritik höhnisch in den Gehirnwindungen. Aber sei es drum.

Ich bin kein Experte, was Nietzsche betrifft, denn bisher habe ich immer nur Metatexte über Philosophen gelesen - und an Kants Prolegomena bin ich einfach glatt gescheitert. 

Doch nun bin ich über Nietzsches zweite unzeitgemäße Betrachtung gestolpert. Ich bin ein Mensch der exponentiellen Begeisterung. Wenn ich etwas aufnehme, in meinen Kosmos einfüge, dass einen Sinn ergibt über den vordergründigen, von öden Buchstaben geprägten Kern, also jenseits seiner Botschaft einen hörbaren "Klick"-Laut erzeugt, dann ergehe ich mich in Begeisterung über eben jenen neuen Baustein und prüfe alles, über das ich stolpere, auf seine Allgemeingültigkeit.

Nietzsche bemerkt völlig richtig, dass unterschiedliche Arten der Historie gibt. Er trennt dabei nicht wesentlich zwischen Historie, Geschichtswissenschaft und Volkstümelei, so scheint es mir zum Teil, aber er zeugt klassische, wie ich sagen würde, spätrömische Probleme auf - die Nationen, die sich auf dem Ruhm vergangener Tage ausruhen, die nichts erschaffen, weil schon alles erschaffen wurde, die nichts verändern, weil sie sich am Ende des Zeitstrahls wahrnehmen. Der Mensch hat immer viel Sinn, für das, was hinter einem liegt, und wenig für das, was kommt. Denn der überschaubare, rückwärtige Bereich ist so viel größer, länger, mächtiger als es unser Wissen über die Zukunft je sein kann, ist doch nicht mal der tägliche Bericht des Metereologen eine wasserdichte Angelegenheit.

Es lässt sich aber auch ganz hervorragend auf den Einzelnen übertragen. Jeder Mensch ist eine Verkörperung der Menschheit im Mineaturformat und so sammeln auch wir im Laufe unseres Lebens eine Historie an, die uns Lähmen kann - weil wir festhängen, im Vergangenen, die glauben, ihre besten Tage hinter sich zu haben, eben Menschen, die sich am Ende ihres Zeitalters wahrnehmen; ich selbst zähle ja auch dazu.

Nietzsche fordert die Überwindung eben dieses Paradigmas und ich übertrage auch das auf den Einzelnen: Historie bewahren, wo sie nützt, lehrt, produktiv schaffend, unterstützend tätig ist. Sie vergessen, vergessen machen, sie nicht gewichten, überall dort, wo sie Wachstum und Entwicklung hemmt, wo sie lähmt und an den Kräften zehrt, überall dort, wo Ängste und Hemmnisse uns von Glück abhalten.

Und so ist der Mensch selbst immer ein fraktales Abbild der Gesellschaft um sich herum, je mehr die Menschheit sich in Geschichte, Wortklaubereien und Verkopfungen verliert, desto weniger wird der Mensch sich vorwärtsbewegen, desto weniger verstehen, desto weniger menschlich sein.
Und natürlich stimme ich Nietzsche in seiner grundsätzlichen Einlassung nicht völlig zu - Geschichte zu erhalten, Chroniken zu führen, Spuren zu suchen entspringt ja gerade unserem Wunsch, Spuren zu hinterlassen; dem tiefinnesitzenden Wollen, dem Streben nach Unvergänglichkeit. Die tief in uns sitzende Gewissheit, dass eines Tages einmal unseresgleichen uns erforschen, wir wir unseresgleichen erforschten. Das verbindende Glied der Menschheit über die Jahrtausende ist die Geschichte und das Bewusstsein darum.

Und ich glaube im Gegensatz zu Nietzsche schon, dass sich gewisse Muster in der Geschichte erkennen lassen, ich glaube, dass man von Ereignissen früherer Zeiten schließen kann, welche Ereignisse in der Gegenwart möglich, unmöglich oder zumindest gangbar und ungangbar sind. Gott sei Dank wissen wir um den Holocaust, sonst könnte das glatt der nächste für eine gute Idee halten!

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